Warum ist der Sänger Harry Styles so erfolgreich? Er begeistert in den sozialen Netzwerken Millionen von Fans, füllt bei seinen Konzerten riesige Hallen - am Mittwoch und Donnerstag etwa das Münchner Olympiastadion. Um die Gründe für seinen Erfolg zu verstehen, lohnt es sich, den diesjährigen Auftritt des Künstlers bei den Brit-Awards anzuschauen. Sein Song "As It was" ist gut gemachter Pop aus den 2020ern – aber auch nicht weltbewegend. Auch seine Performance wirkt erst einmal durchschnittlich. Ist sie aber ganz und gar nicht.
Begegnung mit den Fans auf Augenhöhe
Was ist also sein Geheimnis? Styles geht mit seinen Fans um, wie es nur selten zu sehen ist. Er legt eine Nahbarkeit an den Tag, wie er sie vielleicht bei den Boy Groups eingeübt hat, wo es ja - pardon - nicht um Musik geht, sondern um die Beziehung zu den meist weiblichen Fans. Bei seinem Auftritt streichelt Styles geradezu vorsichtig über die ihm entgegengereckten Hände, klatscht sie nicht ab, wird aber auch nie zu vertraulich.
Nicht bloß eine eingeübte Pose aus seiner Zeit bei "One Direction", sondern eher eine Begegnung auf Augenhöhe – was natürlich Quatsch ist, da er oben steht und die Fans unten. Aber dem Sänger gelingt es, den Eindruck der Nahbarkeit herzustellen. Er ist der Star, klar. Aber das gibt ihm eben nicht das Recht, sich schlecht zu benehmen. Selten war auf der Bühne ein Nummer-1-Hit-Sänger zu sehen, der so ganz und gar auf das Rock’n’Roll-Märchen vom schlimmen Jungen verzichtete. Nichts vom rockistischen harten Kerl, nichts von der verletzten Seele, die deswegen unsere dunkelsten Seiten anspricht.
Der höfliche Star
Hier tritt jemand auf, der seine Fans mit Respekt behandelt. "Treat People With Kindness – Seid höflich zu den Menschen" - diesen Songtitel hat Harry Styles auf seine Merchandising-Artikel drucken lassen, auf Hoodies und Kaffeetassen. Und zum Respekt gehört auch, nicht zu einstudiert zu wirken. Wie er da in einer Gesangspause auf dem Boden zappelt, ist eine zarte Referenz auf Elvis' unendlich befreienden Hüpfschwung, eine sexuelle Befreiung für Frauen und Männer: Sex war nicht länger ein Machtspielchen, sondern gemeinsamer Exzess. Beide Sänger übrigens treten – beziehungsweise traten – geschminkt auf, beide finden und fanden nichts dabei, das in einem rosa Anzug zu tun. Und setzen sogar Trends: Rosa war in diesem Jahr eine überraschend häufig vorkommende Farbe für Herrenanzüge beim Eurovision Song Contest.
Vereinigt in Pink
Seine Fans tun es ihm nach: Pink ist die beherrschende Farbe auf Harry-Styles-Konzerten, die fast nur von Frauen besucht werden. Von denen haben viele sicher ein paar Jahre einen großen Bogen um diese Farbe gemacht haben – denn die reduzierte sie auf Mädchen auf eine unreife Version von Mensch. Pink ist auf Styles-Konzerten das Äquivalent zu "schwul", die Aneignung einer klar abwertenden Zuschreibung, um sie als Empowerment umzumünzen. Und warum das bei einem Konzert eines Mannes? Warum nicht bei einer der großen Frauen des Popbusiness? Es ist kein Zufall, dass Styles seinen Gewinn bei den Brit-Awards den Sängerinnen Rina Sawayama, Charli XCX, Florence Welch, Mabel und Becky Hill widmete.
Denn Styles verkörpert einen modernen Mann – einen, der Frauen nicht herabsetzen muss, um selber größer zu wirken. Harry Styles ist dabei kein Softie, auch wenn der Kritiker Jens Balzer voller Anerkennung ihn "de[n] berühmteste[n] nicht toxische[n] Mann auf der Welt" nennt.
Bauchfrei geht auch bei Männern!
Vielleicht ist ein Grund dafür der Stil von Styles. Bei den Brit-Awards trat er in einem roten Spencer auf, der seinen Bauch freiließ. Für ihn ein eher konservatives Outfit. Auf den roten Teppichen der Welt wird er so häufig fotografiert wie die Frauen in den elegantesten Roben: Mal trägt er einen hautengen, schulterfreien Bodysuit im Harlekinmuster, mal einen Ganzkörper-Lametta-Anzug, mal eine lila Federboa zu einem grünkarierten Jackett. Und natürlich bunt lackierte Fingernägel. Angst, als schwul gelesen zu werden, scheint er nicht zu kennen. Er, der vor aller Augen auf der Bühne Männer auf den Mund küsst, ohne darum viel Aufhebens zu machen.
Metaverse Bowie als Vorbild
Nach Davie Bowie ist Harry Styles der Musiker, der am gezieltesten sein Outfit einsetzt. Nicht wie bei Bowie, um seine Pluralität, seine vielfältigen Bühnenexistenzen zu zelebrieren. Bowie war ein Metaverse – einer, der Rimbauds berühmten Satz "Ich ist ein anderer" nutzte, um zu zeigen: Ein Star muss keine Marke sein, die das immer gleiche Produkt über Jahre stets aufs Neue zu verkaufen versucht.
Styles‘ Einsatz von Mode ist präzise. Er führt nicht Designerprodukte vor wie David Beckham. Er führt vor, dass ein Mann zu sein, bedeuten kann, alles zu missachten, was angeblich "männlich" ist: Styles liebt Farben und Muster und scheint sich leidenschaftlich gerne herauszuputzen. Kurz: Er will Menschen gefallen, was immer eine Form von Kommunikation ist, also ein Gesprächsangebot. Seine Outfits scheinen zu sagen: Liebe Frauen, wie ihr Euch anzieht, ist einfach toll. Ich mache es Euch nach, weil ich so wie ihr wunderschön sein will.
Verrückterweise wirkt das Ganze nie wie Travestie oder Crossdressing. Er verkleidet sich nicht, er bedankt sich bei den Frauen für ihr Auftreten. Er macht es nicht "besser" als seine Fans. Er macht es einfach. Und ermutigt sie damit. Ein moderner Popstar, vielleicht der modernste unseres Jahrtausends.
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